Longevity: Gesund älter werden oder lange leiden?

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Werden wir älter und können das Leben lange gesund geniessen oder müssen wir lange leiden? Und was tun wir dafür beziehungsweise dagegen? Und wie spielen in diesem Themenkreis Medizin, Wissenschaft, Kommerzialisierung und sozialpolitische Themen zusammen? Nachfolgend einige Gedanken rund um den Wunsch des «ewigen Lebens».

Langlebigkeit und Unsterblichkeit sind zwei untrennbar miteinander verbundene Themenkreise. Während bereits in der Antike die Griechen über die Unsterblichkeit der Seele debattierten, ist die Unsterblichkeit heute in den Fokus der Longevity-Forschung gelangt und betrifft dort tatsächlich den menschlichen Körper selbst. Doch statt uns in die esoterische Sphäre der Diskussion zu begeben, skizzieren wir hier erst die Grundlagen der Langlebigkeit und wie sich diese in den letzten zweihundert Jahren entwickelt hat.

Longevity kurz erklärt

«Longevity», wortwörtlich aus dem Englischen übersetzt «Langlebigkeit», leitet sich aus dem Lateinischen ab: «longus» steht für «lange» und «vita» für das Leben». Der Begriff steht allerdings nicht nur für ein rein zeitlich langes Leben, sondern befasst sich damit, gesund und mit einer hohen Lebensqualität zu altern. Selbstredend ein breites Themenfeld, in dem sich Medizin, Wissenschaft und deren Kommerzialisierung tummeln.

Kommerzialisierung von Leben und Tod

Die Kommerzialisierung von Wahrscheinlichkeiten rund um Leben und Tod ist verhältnismässig jung: So verlieh zum Beispiel erst im Juli 1848 das Institute of Actuaries in England erstmals offiziell den Titel eines Aktuars. Von da an übernahmen Aktuare eine unverzichtbare Rolle bei Lebens- und Rentenversicherern, die sich mit der Finanzierbarkeit von Todesfallkapital und Rentenauszahlungen auseinandersetzten. Für diese war das Einschätzen von durchschnittlichen Lebenserwartungen und Ablebenswahrscheinlichkeiten von höchster Bedeutung. Dabei waren Aktuare und mit ihnen die Versicherungen, die sich mit solchen Risiken auseinandersetzen, mit dynamischen Verschiebungen bei den Lebenserwartungen konfrontiert:

Seit 1850 hat die Lebenserwartung in unseren Breitengraden im Schnitt um 2.5 Jahre pro Jahrzehnt zugenommen. Das entspricht einer Zunahme von ca. 42.5 Jahren. Oder anders ausgedrückt:

  • Während ein Mann im Jahre 1850 im Durchschnitt etwa 40 Jahre alt wurde, erreicht er heute in der Schweiz 81.6 Jahre,
  • die Frau im Schnitt sogar 85.4 Jahre.

Vergleichen Sie dazu auch die Artikel bei Pro Heraldica und bei Statista.

Dieser im Fachjargon als «Longevity Gap» bezeichnete Unterschied zwischen Männer und Frauen lässt sich zumindest teilweise mit typischen Verhaltensweisen (eher von Männern ausgeführte risikobehaftete Tätigkeiten wie zum Beispiel Motorradfahren) vor allem in jüngerem Lebensalter erklären. Im Gegensatz zu den Amerikanern, bei denen die Lücke über 6 Jahre beträgt, ist der Schweizer Mann mit einem Nachteil von 3.8 Jahren noch gut bedient. Aber letztlich bleibt zwischen den Geschlechtern auch bei identischem Lebenswandel (getestet unter Laborbedingungen: Nonnen vs. Mönche!) ein Vorteil für die Frauen bestehen (vgl. Diplomarbeit von Marc Luy «Warum Frauen länger leben: Erkenntnisse aus einem Vergleich von Kloster- und Allgemeinbevölkerung», Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB)). Die Wissenschaft hat dafür noch keine finale Erklärung.

Geniessen oder leiden?

Beim Älterwerden interessiert uns vor allem diese Frage: Werden wir gesund älter und können das Leben lange geniessen oder werden wir zwar älter, müssen dabei aber lange leiden? Zu dieser Frage gibt es zwei unterschiedliche Theorien als Antworten:

  1. Die Kompressionstheorie geht vom Best Case aus: Wir leben lange glücklich und gesund und sterben dann in einem kurzen schnellen Prozess.
  2. Die Medikalisierungsthese geht hingegen davon aus, dass wir am Lebensende mit multiplen Erkrankungen lange leiden und damit auch die medizinischen Kosten stark steigen werden.

Die gesellschaftliche Sprengkraft dieser beiden Thesen ist unmittelbar ersichtlich. Welcher Theorie schenken Sie derzeit lieber Glauben? Aus unserer eigenen Erfahrung kennen wir Beispiele für beide Extreme. So wird aus dem eingangs eher philosophischen Thema plötzlich ein knallhartes Business, in dem verschiedene Akteure um die Deutungshoheit streiten, was künftig zur Ausdehnung unserer Lebensspanne wünsch- und machbar sein wird. Zu den Akteuren gehören sowohl die Medizintechnik als auch die Pharmaindustrie, Sozial- und Rentenversicherungen sowie der Staat mit seinen diversen Hilfsprogrammen.

Grosser Investitionsmarkt der Langlebigkeit

Auf der medizinisch-technischen Seite ist ein eigenes Ökosystem von Firmen und Investoren entstanden, die sich Langlebigkeit auf die Fahne geschrieben haben. Kürzlich hat in Gstaad die zweite Longevity Investors Conference stattgefunden. Die Teilnahme war einem sehr elitären Teilnehmerkreis vorbehalten, galt doch als Bedingung, dass Investorinnen und Investoren über mindestens eine Million Franken frei verfügbares Kapital ausweisen müssen, das in Langlebigkeitsthemen investiert werden kann.

Dabei ginge es für den einzelnen Menschen oft einfacher und günstiger, nämlich mit einem gesünderen Lebensstil. So weisen zum Beispiel diverse Studien darauf hin, dass Fastenkuren unsere körpereigenen Zellreparaturmechanismen anregen. Ebenso beschreibt die Wissenschaft, dass unsere individuelle Lebenserwartung zu über 70% von unserem Lebensstil und nicht von unseren Genen abhängt. Zum Lebensstil gehören generell die Ernährung, Alkohol- und Nikotinkonsum, Schlafmenge, körperliche Aktivität und soziale Kontakte.

Betrachten wir jedoch die Häufigkeit der Volkskrankheit Übergewicht, scheint Fasten, gesundes Essen und viel Bewegung in der heutigen Fast-Food-Gesellschaft keinen sehr hohen Stellenwert zu geniessen.

Stattdessen vertraut der Mensch viel lieber der lebensverlängernden Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln, wovon die Longevity-Industrie extensiv Gebrauch macht: Die Hoffnung der Konsumenten trifft da genau auf das Gewinninteresse der Firmen. Die Longevity-Investoren freut’s. Dabei ist vieles Quacksalberei. Nichtdestotrotz gibt es auch einige Wirkstoffe, deren positive Auswirkung auf die Lebenserwartung erwiesen ist.

Wirtschafts- und sozialpolitische Dimension

Alleine mit ein paar Pillen und Pülverchen werden wir es nicht schaffen, die Lebenserwartung weiterhin mit 2.5 Jahren pro Jahrzehnt anwachsen zu lassen. So zerbrechen sich die Wissenschaftler aktuell den Kopf darüber, warum in den USA die Lebenserwartung bereits vor der Pandemie eine Trendwende erfahren hat und sich aktuell nach mehreren negativen Jahren wieder dort befindet, wo sie vor 10 Jahren lag. In Europa wurde der eindeutige Trend nach oben an vielen Orten auch verlangsamt oder angehalten. Dabei ist die durchschnittliche Lebenserwartung wie so oft ein schlechtes Mass, um die Realität zu erfassen. Denn: Zwei Faktoren machen gemäss diverser Studien (zum Beispiel des Österreichisches Instituts für Wirtschaftsforschung) einen wesentlichen Unterschied – der sozio-demographische und der bildungsbezogene Status. Die besten Voraussetzungen, alt zu werden, haben nämlich gut ausgebildete Reiche. Der Cocktail für soziale Spannungen vor dem Hintergrund der alternden westlichen Nationen ist somit angerichtet.

Die Frage, ob Langlebigkeit Fluch oder Segen bedeutet, nimmt vor diesem Hintergrund unweigerlich neben einer philosophischen auch eine wirtschafts- und sozialpolitische Dimension an. Als Individuum sollte uns bewusst werden, dass wir unser eigenes Schicksal weit stärker beeinflussen können, als es uns einzugestehen lieb ist. Als Staatsbürger müssen wir daran denken, dass ein soziodemographischer Graben durch unsere Gesellschaft verläuft, der sich an arm versus reich und niedriger versus hoher Bildung orientiert. Dieser Graben verschärft sich durch die Tendenz der Entsolidarisierung (zum Beispiel bei Krankenkassen über die risikogerechten Tarife). Es ist wichtig, dass diese Themen öffentlich diskutiert werden und wir dazu einen gesellschaftlichen Konsens erzielen.

Investitionen auch ethisch beurteilen

Die Lisentis GmbH organisiert Kapital für medizinisch-technische Unternehmen in der Wachstumsphase. Bei der Selektion der Investmentobjekte stellt sie sich immer wieder die Frage: Was ist wünschbar, ethisch vertret- und finanzierbar und gleichzeitig für die Investoren ein attraktives Investment? Der beschriebene Bezugsrahmen im obigen Text hilft bei dieser Beurteilung. In einem weiteren Artikel wird die Lisentis GmbH einen konkreten Einblick in mögliche medizinische Anknüpfungspunkte und damit verbundene Investitionsmöglichkeiten geben.