Die Zukunft der medizinischen Versorgung in den eigenen vier Wänden
Wissen
Die Idee ist einfach, aber möglicherweise revolutionär: Statt Patienten im Spital zu behandeln, kommt die medizinische Versorgung direkt zu ihnen nach Hause. Das ermöglicht nicht nur eine persönlichere Behandlung für die Patienten in den eigenen bekannten und vertrauten Wänden, sondern entlastet auch das Gesundheitssystem.
In der Schweiz gewinnt dieses Modell zunehmend an Bedeutung und bietet vielversprechende Ansätze für die Zukunft der Gesundheitsversorgung. Warum dies so ist, erklärt uns KD Dr. med. Abraham Licht, Gründer von Hospital at Home AG. Im Interview sprechen wir mit ihm über den aktuellen Stand dieses Modells sowie dessen Herausforderungen und Chancen. Und wie dieses dazu beitragen kann, die Gesundheitskosten zu senken und die Patientenzufriedenheit zu erhöhen.
Dr. Abraham, Hospital@Home ist ein Modell, das in anderen Ländern bekannt und fortgeschritten ist. Die USA, Südamerika, Skandinavien und Spanien sind hier Vorreiter. Wie ist der Stand in der Schweiz?
In der Schweiz läuft aktuell viel rund um Hospital@Home. Neben uns gibt es noch zwei weitere Anbieter dieses Modells, die Klinik Arlesheim und das Spital Zollikerberg. Deren zwei Programme sind im Unterschied zu unserem ein zusätzliches Angebot des jeweiligen Spitals. Das bedeutet, dass wir derzeit das einzige selbständige Unternehmen mit diesem Angebot sind.
Existiert eine schweizweite Organisation?
Seit 2023 gibt es die «Swiss Hospital at Home Society», die Schweizer Vereinigung mit dem Ziel, politische Veränderungen voranzutreiben und die Zukunft dieses Modells in der Schweiz nachhaltig zu verankern. In meinen Rollen als Gründer und im Vorstand der Society bin ich praktisch wöchentlich an Meetings mit Gesundheitsdirektionen, Versicherungen, Grosspraxen und anderen Spitälern. Es gibt unglaublich viel Enthusiasmus, das Interesse ist vorhanden, doch gewisse Umstände machen die Umsetzung von Hospital@Home schwierig.
Total wurden in der Schweiz bis anhin ca. 500 bis 600 Patienten so betreut, rund 150 davon über unser Unternehmen. Es macht mich schon etwas stolz, dass unsere Qualitätszahlen sehr zufriedenstellend sind, sprich die Patientenzufriedenheit ist extrem hoch, die Komplikationsrate und die Rehospitalisationsrate entspricht den zahlreich international publizierten Daten zu Hospital@Home.
Sie sprachen von schwierigen Umständen? Sprechen Sie die finanziellen Herausforderungen an?
Das Schöne ist, dass wir politisch grundsätzlich unterstützt werden und auch die Regulatoren uns gegenüber positiv eingestellt sind. Doch man muss klar sagen: Wir sind noch weit weg von einem kostentragenden Tarif für Hospital@Home – und diese Unsicherheit schwebt wie ein Damoklesschwert über uns. Die Dynamik der politisch-rechtlichen Entwicklung ist schwierig zu antizipieren, die laufenden Programme werden alle einen «langen Schnauf» brauchen. Im 2023 haben wir mit TARMED, dem Tarif für ambulante Praxen, gestartet. Das ist natürlich bei weitem nicht kostendeckend: In einer Praxis sieht man pro Stunde bis zu sechs Patienten. Bei Hospital@Home besuchen wir aktuell vier bis sechs Patienten pro Tag, teils mehrmals täglich verbringen Arzt und Pflege 20-30 Minuten beim Patienten mit klinischer Untersuchung, Blutentnahmen, Ultraschall, EKG, Gabe von intravenösen Medikamenten und Besprechung des weiteren Vorgehens. Die Reisezeit und die 24h-Ansprechbarkeit unserer Zentrale, das Home-Monitoring, ist alles nur zum Teil abrechenbar. Entsprechend ist der Tarif für dezentrales Arbeiten nicht deckend, bei weitem nicht. Trotzdem wollten wir so starten und Erfahrungen sammeln. Wir blieben dran, dokumentierten und hielten die Gesundheitsdirektion auf dem Laufenden.
Mit welchem Resultat?
Im Frühling 2024 kam die positive Nachricht, dass wir von 2024 bis 2026 Fälle, die wir Zuhause spitaläquivalent betreuen, nach DRG abrechnen dürfen. Dies als Subvention des Kantons, der damit eine Einführungshase dieses Versorgungsmodells unterstützen und begleiten möchte. Im Gegenzug legen wir unsere Bücher offen und erheben eine Kostenträgerrechnung, die an REKOLE angelehnt ist. Wir haben bei drei Versicherungen erst kürzlich unsere Finanzzahlen und auch die Qualitätskennzahlen vorgestellt. Unsere Datenaufarbeitung wurde dabei geschätzt und qualitativ anerkannt. Das bedeutet, wir gehen mit vielen ins Gespräch und nehmen Verhandlungen mit diversen Partnern auf; das machen wir aber auch über die Society, damit wir nicht als Einzelkämpfer, sondern uns gemeinsam für unsere Ziel stark machen.
Wie reagieren Patienten auf das Angebot?
Viele erkennen den positiven Effekt der Behandlung zu Hause sofort: Im eigenen Bett, in einer bekannten Umgebung gesund zu werden, mit dem eigenen Kühlschrank und der geschätzten eigenen Routine. Das ist übrigens auch wissenschaftlich erwiesen: Die Pflege zu Hause bewirkt eine schnellere Genesung und frühere Mobilität. Das kann gerade für ältere Menschen entscheidend sein. Bedeutend für die Patienten sind die stark reduzierten «Spital-Nebenwirkungen» Zuhause: Keine Spitalkeime, kaum Delire, also starke Unruhe in der fremden Spital-Umgebung, viel weniger Stürze, Verordnung von viel weniger Schlafmittel und Tranquilizer. Auch Patienten mit Haustieren finden das Angebot auf Anhieb attraktiv. Bei den Familien und Freunden braucht es oft ein bisschen mehr Überzeugungsarbeit: Sie denken schnell an die Sicherheit und Betreuung, manchmal sind sie verunsicherter als der Patient. Obwohl die Patientensicherheit im Hospital@Home gemäss zahlreichen Studien absolut gegeben ist. Der technische Fortschritt hat Hospital@Home noch zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten ermöglicht: Dank Sensoren können wir den Zustand der Patienten Zuhause aus der Ferne überwachen.
Und wer kann dieses Angebot überhaupt nutzen?
Ungefähr 20% aller akut-Patienten in der Schweiz haben Krankheitsbilder, die spitaläquivalent Zuhause betreut werden können. Einfach ausgedrückt: Patienten, die zu krank sind, um von der Spitex allein betreut zu werden, aber nicht so stark krank, dass sie im Spital liegen müssen, können von einem spitaläquivalenten Hospital@Home-Service profitieren. Es ist wichtig zu erwähnen, dass wir Hand in Hand mit Spitälern, Hausärzten und Spitexorganisationen arbeiten.
Welche langfristigen Visionen haben Sie für Hospital@Home in der Schweiz?
Internationale Studien zeigen, dass eine Kosteneinsparung von 10-30% möglich ist im Vergleich zu den herkömmlichen stationären Behandlungen. Wie hoch die Einsparungen in der Schweiz sein werden, bei gleicher oder besserer Behandlungsqualität Zuhause, werden wir noch erarbeiten müssen. Wenn wir es schaffen, positive Ergebnisse aufzuzeigen, würden wir das Gesundheitswesen Schweiz stark unterstützen. Darauf arbeiten wir hin.